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Architektur Galerie Berlin

Architektur und Fotografie (Vortrag)

Wenn man sich einen Überblick über zeitgenössische Architekturfotografie verschaffen möchte merkt man schnell: Jeder hat ein großes Interesse daran und viele können etwas dazu sagen, aber: es gibt gar keine allgemeingültigen Kategorien oder gar Lehrsätze. Obwohl es sich bei dem Medium Fotografie und dem Sujet Architektur unstrittig um etwas sehr Konkretes handelt, ist die Architekturfotografie eher – wie man so schön sagt – ein weites Feld. Warum ist das so?

Ein weites Feld

Zum Einen hat das natürlich ganz pragmatisch betrachtet mit den Architekten zu tun und damit, wie sie ihre Gebäude selbst sehen und demzufolge auch vermitteln möchten. Denn im Gegensatz zur Fotogrammetrie geht es bei einem Architekturfoto primär natürlich immer darum, ein Gebäude möglichst vorteilhaft darzustellen.

Zu den eigenen Vorstellungen der Architekten kommen dann noch die unterschiedlichen Verwendungszwecke: Denn in einer Fachzeitschrift wie zum Beispiel der Bauwelt finden wir naturgemäß eine andere Bildsprache als in einer so genannten Publikumszeitschrift,wie zum Beispiel Häuser. (Ich weiß, dass solche Publikumszeitschriften unter Architekten eher verpönt sind, aber ich möchte sie trotzdem erwähnen, da sie für einen Großteil der Nichtfachleute ganz wichtige Informationsquellen sind.)

Da ein Architekturfoto immer zugleich mehrere Facetten beinhaltet bietet es – je nach Standpunkt und Erfahrung des Betrachters – vielfältige Möglichkeiten dafür, wie das darauf abgebildete Objekt interpretiert werden kann. Und wo interpretiert werden kann, kann natürlich auch leicht manipuliert werden.

Das ist der andere Grund, warum Architekturfotografie nicht leicht zu definieren ist: Wir wissen selbstverständlich, dass die architektonische Realität und deren fotografisches Abbild nur bedingt übereinstimmen. Denn die „Optimierung“ einer Gebäudeansicht beginnt ja nicht erst bei der Bildretusche, sondern bereits bei der Wahl des Kamerastandpunkts oder des Bildausschnitts. Wir alle kennen die Situation, in der wir ein Haus oder einen Ort suchen und nicht gleich finden, weil uns ein bestimmtes Foto in einer Veröffentlichung einen ganz anderen Eindruck vom Kontext vermittelt hat, als den, den wir dann tatsächlich vorfinden.

Das Architekturfoto bietet also nicht nur Interpretationsspielraum, sondern kann uns gleichzeitig auch etwas Bestimmtes suggerieren. Das Interessante dabei ist: Trotzdem das alles bekannt ist, vertrauen wir im Allgemeinen der Fotografie. Auf dieses interessante Phänomen möchte ich jedoch nicht näher eingehen, mich interessieren vielmehr folgende Punkte: Erstens: Die Rolle der Architekturfotografie in der Architekturkommunikation, und Zweitens: mögliche Kategorien von Architekturfotografie anhand von drei Beispielen.

Architekturfotografie und Architekturkommunikation

Wie die meisten von Ihnen wissen beschäftige ich mich mit Architekturausstellungen. Sie sind ein Teil dessen, was sich unter der großen Überschrift Architekturkommunikation zusammen fassen lässt. Auch hier kommt es – wie in der Fotografie – darauf an, Architektur zu übersetzen. Und zwar so, dass der Besucher eine möglichst komplexe Vorstellung von einem Haus erhält, ohne es in der Realität gesehen zu haben. Das Ganze passiert natürlich nicht aus Altruismus:

Der Architekt möchte schöne Beispiele zeigen, um für einen neuen Auftrag zu überzeugen, die Baufirma möchte ebenfalls schöne Beispiele zeigen, um neue Aufträge zu akquirieren, und der Investor schließlich möchte schöne Beispiele zeigen, um die Bank für sein nächstes Projekt zu gewinnen. Es geht also nie nur um eine möglichst sachliche Darstellung, sondern – bei aller Liebe zur Baukunst – es stecken vielmehr immer handfeste strategische Interessen dahinter.

Während Ausstellungen bei diesen Überzeugungsstrategien einerseits einen sehr komplexen Eindruck vermitteln können sind sie andererseits jedoch sehr aufwendig und immer an einen bestimmten Ort gebunden. Im Gegensatz dazu verfügen Fotografien jedoch über den Vorteil, dass sie überall verfügbar und inzwischen auch mit vertretbarem Aufwand qualitativ hochwertig herzustellen sind. Sie spielen also eine zentrale Rolle bei der Kommunikation von Architektur, alles andere – Texte, Zeichnungen, Modelle etc. – sind im Prinzip Ergänzungen.

Interessant ist dabei, dass sich diese Rolle trotz der neuen Medien nicht wesentlich geändert hat. Allenfalls die Verbreitung hat sich rasant verbessert: Während früher originale Abzüge mit großer Andacht von Hand zu Hand gereicht wurden, ist im Netz heute alles beliebig oft und ohne zeitliche Einschränkung verfügbar.

Was sich jedoch ändert ist die Bildsprache. Während es noch vor ca. 15 bis 20 Jahren im Prinzip absoluter Standard war, beim Fotografieren eines Haus feste Parameter zu berücksichtigen – festgelegte Perspektiven, bedeckter Himmel, keine Menschen – gibt es heute immer mehr Fotografen, die versuchen sich von diesem Kanon zu lösen.

Dass die meisten Architekten diesen Versuchen noch skeptisch gegenüber stehen und entsprechende Bilder gleich in der ersten Runde aussortieren, ist eine andere Sache. (Jeder kennt das Phämomen: Lieber lässt der Architekt eine Baustelle fotografieren als dass auch nur ein Bewohner zu sehen ist.) Ich bin jedoch absolut sicher, dass das in zehn Jahren vollkommen anders aussehen wird!

Eine andere Möglichkeit, die „klassische“ Bildsprache der Architekturfotografie zu verlassen und eine neue Ausdrucksmöglichkeit zu erreichen, bietet sich, wenn Häuser von Künstlern fotografiert werden. Ein wichtiges Beispiel dafür sind die Arbeiten von Thomas Ruff, der sich seit Anfang der 90er Jahre mit den Bauten von Herzog de Meuron beschäftigt und dabei seine eigene Bildästhetik in den Vordergrund gestellt hat. Das gelingt natürlich nur, weil der Künstler – im Gegensatz zum als Dienstleister arbeitenden Architekturfotografen – nur seinen eigenen Kriterien verpflichtet ist. Diese Praxis erfordert jedoch auf beiden Seiten eine gewisse Souveränität und Distanz und so ist sicherlich kein Zufall, dass ausgerechnet HdM und Ruff zusammen gefunden haben.

Aber egal ob klassischer Architekturfotograf oder Künstler: Solange es nicht ein Medium gibt, das noch schneller und mindestens genauso komplex Informationen vermittelt, bleibt die Fotografie zentraler Gegenstand der Architekturkommunikation. Für alle Beteiligten kommt es deshalb darauf an, die unterschiedlichen Bildsprachen zu kennen und bewusst einzusetzen. Aus meinen vielen Gesprächen mit Architekten und Fotografen weiß ich, dass das gegenseitige Verständnis meist nur dünn ausgeprägt ist und oft unterschiedliche Vorstellungen herrschen. Da gibt es aus meiner Sicht noch viel Handlungsbedarf.

Kategorien

Entsprechend der unterschiedlichen Auffassungen von Architekten, Bauherrn etc. gibt es ganz verschiedene Kategorien von Architekturfotografie. Während die Einen Wert auf die möglichst ideale Darstellung als einzelnes Objekt legen, interessieren sich Andere für den städtebaulichen Kontext. Dritte wiederum richten den ihren Fokus auf bestimmte Konstruktions- oder Materialdetails. Zunehmend gibt es auch Tendenzen, bei denen es darum geht, mehr oder weniger atmosphärische Stimmungen einfangen, die für die Vermittlung von Architektur ja ebenso wichtig sind wie Geometrie und Material.
Bei alledem darf man jedoch nicht vergessen, dass auch der Fotograf einen ganz bestimmten ästhetischen Standpunkt vertritt. Deshalb ist es nicht verwunderlich, dass sich immer wieder bestimmte Architekten und Fotografen zusammen finden. So ist es absolut kein Zufall, wenn unser Bild von Dudlers Berliner Jacob-und-Wilhelm-Grimm-Zentrum besonders durch die strengen Fotografien von Stefan Müller geprägt ist, AFF Architekten mit dem Künstler Hans-Christian Schink zusammen arbeiten oder Hélène Binet für Peter Zumthor fotografiert.

Trotzdem die zeitgenössische Architekturfotografie schwer in klare Bereiche zu untergliedern ist möchte ich zu versuchen, ein paar Claims abzustecken. Dabei sollen drei Beispiele helfen, die ich den Kategorien objektive, crossover und künstlerische Fotografie zuordne und die vielleicht als Orientierungshilfe für die Einschätzung der Arbeiten in der Ausstellung dienen können. Diese Sortierung ist natürlich subjektiv und somit unscharf.

Zuerst ein Beispiel für so genannte Objektive Fotografie: Hierunter verstehe ich Bilder, deren erstes Ziel eine möglichst realistische und vollständige Dokumentation ist. Sie hat auf Grund ihrer universellen Verwendbarkeit die größte Verbreitung und ist vielleicht das, was man gemeinhin meint, wenn man von Architekturfotografie spricht.
Ein gutes Beispiel hierfür ist – neben vielen anderen wunderbaren Fotografen wie Stefan Müller, Jan Bitter, Werner Hutmacher etc. – der deutsche Fotograf Christian Richters. Er ist bekannt für seine pragmatischen Bildstrecken für Architekten wie David Chipperfield, Diener & Diener, UN Studio u.v.a.m. Seine Fotos zeichnen sich durch eine gewisse Lässigkeit aus, die manch einem schon grenzwertig erscheint. Denn er nähert sich den zu fotografierenden Objekten zwar mit Respekt, aber nicht mit Unterwürfigkeit. Das heißt, im Gegensatz zu vielen seiner Kollegen wartet er nicht tagelang auf das vermeintlich richtige Wetter oder darauf, bis auch der letzte Mensch das Gebäude verlassen hat. Er kreist seine Objekte vielmehr ein wie ein täglicher Nutzer, der sich dem Haus ja auch nicht nähert wie einem Kunstobjekt in einem white cube, sondern für den das Haus einfach ein Gebrauchgegenstand ist. Ihre vermeintliche Grenzwertigkeit liegt darin, dass unter Architekten in der Regel die Vorstellung überwiegt, das Gebäude sei ein künstlerisches Einzelobjekt und müsse als solches dargestellt werden. Aus diesem Grunde ist ja auch das Vertrauen der Architekten in den Fotografen selten so groß, dass sie ihn einfach so machen lassen. Die meisten Fotografen können ein Lied davon singen, wie die Architekten an ihrer Arbeit herumkritteln und versuchen ihn in eine ganz bestimmte Richtung zu drängen.
Als Bildbeispiel von Christian Richters habe ich eine Serie von einem Bürogebäude der holländischen Architekten Claus + Kaan mitgebracht. Sie verdeutlicht diese Strategie auf eindrucksvoll unspektakuläre Art und Weise.

Ein interessantes Beispiel für jemanden, der crossover arbeitet, ist die in London lebende Fotografin Hélène Binet. Sie macht nicht nur Auftragsarbeiten für namhafte Architekten wie Caruso St. John, Zaha Hadid, Daniel Libeskind und Peter Zumthor, sondern fotografiert auch frei und sucht sich ihre Themen dafür unter Ikonen der klassischen Moderne. Dass sie dadurch über die Jahre hinweg einen eigenen Stil entwickelt hat trägt sicherlich dazu dabei, dass sie von den genannten Stararchitekten beauftragt wird. Im Idealfall lassen sie ihr dabei wirklich freie Hand. Was dabei herauskommen kann zeigt sehr schön die Serie zum Atelier Peter Zumthors: Hélène Binet nähert sich dem Gebäude fragmentarisch in langsamen Schritten und man kann den einzelnen Aufnahmen förmlich ansehen, wie vorsichtig und immer wieder abwägend das passiert. Nach vielen Tagen Arbeit sind am Ende fünf (!) Fotos entstanden, mit denen Binet das Projekt Atelierhaus beschreibt. Dabei gibt es nur eines, das die äußere Gestalt immerhin fragmentarisch thematisiert, während die übrigen vier räumliche und konstruktive Details zeigen. Ich denke wir sind uns einig darüber, dass wir damit den Pfad der klassischen Dokumentarfotografie verlassen. Denn dem ungeübten Betrachter wird sich damit die Komplexität der Architektur nicht mal annähernd erschließen, wozu der Verzicht auf farbige Aufnahmen noch sein Übriges tut. Der geübte Betrachter hingegen, der weiß, welches Objekt das ist und wer es erbaut hat, wird ein großes Spektrum an Assoziationen entwickeln.
Diese Art der Fotografie ist nicht mehr darauf angewiesen, etwas möglichst vollständig und ideal zu zeigen: Es macht aus dem Fotografierten etwas Eigenständiges. Eine solche Vorgehensweise funktioniert natürlich nur, wenn beide Seiten, also Architekt und Fotograf, eine gewisse Experimentierfreude an den Tag legen.

Und damit bin ich auch schon bei der dritten Kategorie, die ich Künstlerische Fotografie nennen möchte. Ihr Augenmerk liegt überhaupt nicht mehr auf vermeintlich objektiven Motiven, sondern in den Vordergrund tritt vielmehr und offensichtlich die künstlerische Auseinandersetzung mit einer architektonischen Situation. Als Beispiel hierfür kann eine Serie stehen, die die in Berlin lebende Fotografin Heji Shin vom Atelierhaus von Katharina Grosse gemacht hat (siehe auch das Buch: Ich wünsche mir ein großes Atelier im Zentrum der Stadt) Sie kennen das Projekt von Augustin & Frank in der Lehrter Straße: Eine rationale Betonkiste, die von außen eher geschlossen erscheint und sich mit den wenigen Fenstern dem visuellen Zugriff auf das Innere verschließt.
Die Serie von Heji Shin zeigt räumliche und Detailsituationen, die sich der klassischen Bildsprache der Architekturfotografie vollkommen verweigern. Wir sehen Gegenlicht-Aufnahmen, wir sehen Nachtaufnahmen, wir sehen Bilder aus den unterschiedlichsten Perspektiven, teilweise wie aus der Bewegung geschossen. Und wir sehen sogar unscharfe Bilder, wie wir sie nur kennen, wenn wir die Augen zusammen kneifen. Das alles ist für den klassischen Architekturfotografen natürlich ein Affront und ich habe Gespräche mit Fotografen, mit denen ich befreundet bin, in denen sie mir nicht nur ihr Unverständnis, sondern sogar ihre volle Abneigung gegenüber solcher Art von Fotografie äußern.

Aber: Ich zeige das Beispiel, weil es natürlich trotzdem ein wunderbares Bild der Architektur und deren Benutzung vermittelt. Interessanterweise sind in dem Buch, das zu dem Projekt erschienen ist, aber nicht nur solche Fotos enthalten. Eine Fotoserie von Werner Hutmacher dokumentiert das Gebäude auf klassische Art und Weise im Sinne der Architekten …

Resümee

Was lässt sich also abschließend sagen? Obwohl ich die ganze Zeit den Begriff Architekturfotografie verwende habe, gibt es sie gar nicht, die Architekturfotografie. Dieser Tatsache versuchen wir gerecht zu werden, wenn wir anstelle des Terminus Architekturfotografie Wortkonstellationen wie Architektur Und Fotografie oder – wie bei dieser Ausstellung – Architektur Unterstrich Fotografie verwenden.

Das Spektrum ist beinahe genauso groß wie die architektonischen Haltungen selbst: Es reicht von Fotografien, die Architektur dokumentieren bis zu Fotografien, die ihre eigene Reflektion über Architektur suchen. Ein Künstler, dessen Thema Architektur ist, macht mitnichten Architekturfotografie. Das bedeutet nicht, dass manch Künstler uns mit seinen Arbeiten weniger über ein Gebäude erzählt als ein Architekturfotograf. Und es bedeutet aber auch nicht, dass eine klassische Architekturfotografie keine Kunst ist.