Navigation

Architektur Galerie Berlin

Das grösste Potential liegt in der Arbeit mit der dritten Dimension – Jeannette Merker im Gespräch mit Ulrich Müller

Einer der ersten Sätze, den Sie in Vorbesprechungen mit Architekten, die bei Ihnen in der Galerie ausstellen möchten, formulieren, ist: „Ihr könnt alles zeigen, außer Pläne!“ Welche Reaktionen erhalten Sie darauf?

Die Formulierung dieses Wunsches löst keine große Überraschung mehr aus. Zum einen ist die Arbeitsweise der Galerie längst etabliert, zum anderen hat in den letzten Jahren auch bei vielen Architekten ein Umdenken in Sachen Architekturausstellung stattgefunden. Sie haben erkannt, dass Pläne etwas fürs Museum oder das Internet sind. Deshalb gibt es inzwischen sogar eine Ergänzung, die noch etwas weiter geht: Die Ausstellungen sollen nicht nur auf Pläne verzichten, sondern sich – neben ihrem eigenen Thema – mit der Konfiguration des Galerieraumes auseinandersetzen und ihn im Sinne der Architekturidee des Büro transformieren. Die Konsequenzen dieses Wunsches werden hin und wieder schon intensiv diskutiert. (lacht)

Welche Idee steckt dahinter?

Die Intention der Galerie ist es, intellektuelle Fragestellungen mit dem physischen Aspekt zu kombinieren, der Architektur ausmacht, nämlich die dritte Dimension. In dieser Kombination entsteht ein unverwechselbarer und anschaulicher Erfahrungsraum, dessen Atmosphäre ein entscheidendes Kriterium ist. Wie in einer Versuchsanordnung kann ich dabei Informationen mit räumlichen Momenten kombinieren. Auf diese Weise gelingt es, Zusammenhänge zu verdeutlichen oder zu interpretieren. Nur mit dieser Strategie kann sich das eigentlich konservative Format der Ausstellung deutlich von allen übrigen Vermittlungsformaten, wie Bücher, Fachzeitschriften und vor allem dem Internet, abgrenzen und auch in Zukunft behaupten. Ein weiterer Grund für diese Vorgabe ist der unmittelbare Kontext, in dem sich die Architektur Galerie Berlin mit ihrer Arbeit bewegt: Innerhalb des breiten Spektrums der vielen Berliner Ausstellungsorte und Institutionen ist es unabdingbar, sich mit einem eigenständigen und unverwechselbaren Profil zu positionieren, um überhaupt wahrgenommen zu werden. Da die Galerie ein privater Ausstellungsraum ist, haben wir dafür natürlich ganz andere Möglichkeiten als zum Beispiel eine öffentliche Institution.

Wenn die Architekturbüros sich nach dem Vorgespräch auf das Konzept der Galerie eingelassen haben, wie geht es dann weiter? Welche Rolle und welche Aufgaben übernehmen Sie im Entstehungs- und Umsetzungsprozess der Ausstellungen?

In der Regel machen die Architekten ein oder zwei, manchmal sogar drei Vorschläge zu Themen, die sie interessieren oder an denen sie aktuell arbeiten. Damit verbunden sind Konzepte für deren visuelle und räumliche Umsetzung. Oft passen diese beiden Aspekte schnell gut zusammen. Ist das nicht der Fall, suche ich im gemeinsamen Gespräch nach den Stellschrauben, um die Vorschläge zu schärfen. Eine wichtige Rolle spielt dabei das Ziel – auch nach über 60 Ausstellungen –, jedes Mal aufs Neue ein einzigartiges Ausstellungsthema und ein adäquates Layout zu kreieren. Da der Ausstellungsraum mit seinen 65 Quadratmetern nicht sehr groß ist, müssen die Ausstellungen mehrschichtig und trotzdem gleichzeitig maximal verständlich sein. Alle diese Kriterien unter einen Hut zu bekommen ist für die Architekten immer wieder eine große Herausforderung, die nicht selten unterschätzt wird.

Außerdem begleite ich den weiteren Prozess der Ausstellungsvorbereitung sehr intensiv. Schließlich gehören zu einer guten Ausstellung nicht nur die eigentlichen Exponate oder die Installation, sondern eine perfekte Einladungskarte, präzise Pressearbeit oder ein geeigneter Redner für die Einführung.

Wie und nach welchen Kriterien wählen sie die Architekturbüros aus? Wo liegen thematische Schwerpunkte?

Einerseits habe ich Architekten im Fokus, deren Arbeit ich zum Teil bereits seit vielen Jahren verfolge. In den 15 Jahren meiner Arbeit als Galerist ist eine lange Liste mit Namen von Architekten, Fotografen oder auch Künstlern entstanden, von denen ich glaube, dass die Präsentation ihrer Arbeit in Berlin einen wichtigen Beitrag zum aktuellen Architekturdiskurses leisten kann. Diese Positionen machen ungefähr 50 Prozent des Galerieprogramms aus. Die anderen Hälfte generiert sich aus den zahlreichen Anfragen von Büros, deren Arbeit ich bislang noch nicht auf dem Schirm hatte, die ich aber gerne kennenlernen möchte. Unabhängig von der Tatsache, wer zuerst den Kontakt aufnimmt, gilt: Die Galerie thematisiert ausschließlich Architektur als bewussten Akt der Gestaltung. Innerhalb dieses Rahmens gibt es jedoch keine stilistischen oder inhaltlichen Grenzen. Der einzige Gradmesser ist die Intensität der intellektuellen Reflektion bzw. Durchdringung eines Themas. Aktuell befinde ich mich in der „heißen“ Phase für das nächste Jahresprogramm, das ich wie immer im Herbst des vorangehenden Jahres veröffentliche. Das Ziel der kompletten Planung eines ganzen Jahres ist ein inhaltlich und formal ausgewogener Ausstellungsrhythmus, bei dem junge und bereits etablierte Büros möglichst paritätisch vertreten sind.

Sie selbst sind ausgebildeter Architekt. Was hat Sie vom Bauen zum Ausstellen gebracht?

Für mich ist die Arbeit in der Galerie eine Art Weiterführung der Architektur – nur mit anderen Mitteln. Als Architekt war ich viele Jahre Büro- und Projektleiter. Diese Arbeit hat mir riesengroßen Spaß gemacht – schließlich ist Architekt der schönste Beruf der Welt. Gleichzeitig hat mich aber auch immer schon die Arbeit der Kollegen sehr interessiert. Ich wollte mir deren Bauten aber nicht nur in aller Stille anschauen, sondern mich auch darüber austauschen und meine Begeisterung teilen. Auf dieser Grundlage ist 1998 eine erste Ausstellungsreihe entstanden, die ich zusammen mit einem Studienfreund in Leipzig gezeigt habe. Mir wurde jedoch schnell klar, dass sich die Berufe des Architekten und des Galeristen auf lange Sicht nicht verbinden lassen, wenn man erfolgreich sein möchte. Deshalb betreibe ich die Galerie seit 2002 professionell. Meine Tätigkeit als Architekt ist jedoch bis heute eine wesentliche Grundlage für meine Arbeit als Architekturgalerist – wenn es diese Berufsbezeichnung überhaupt gibt. Nur durch diese Erfahrung verstehe ich, wie Architekten denken, welche Probleme sie umtreiben und wie sie sich innerhalb unserer Gesellschaft verorten.

Was zeichnet die Architektur Galerie Berlin aus, was unterscheidet sie von der übrigen Berliner (Architektur-)Ausstellungsszene?

Ich hatte eingangs bereits die große Bandbreite der Berliner Ausstellungsszene erwähnt. Das Ergebnis meiner jahrelangen Recherchearbeit zur internationalen Ausstellungslandschaft zeigt sogar, dass die Berliner Szene eine der international komplexesten ist. Umso wichtiger ist es, dass jede einzelne Institution ein klares Profil hat. Die Architektur Galerie Berlin zeigt deshalb ausschließlich monografische Ausstellungen zeitgenössischer Architekten. Dabei handelt es sich um konzeptuelle Ausstellungen – das heißt sie thematisieren jeweils ein bestimmte Fragestellung –, die ausschließlich für die Galerie entworfen sind. Die räumliche Transformation der Galerie spielt dabei eine zentrale Rolle.

Welches Publikum sprechen Sie mit ihren Ausstellungen an?

Die Architektur Galerie spricht zu rund 90 Prozent Fachpublikum an. Ein Drittel davon sind Berliner Architekten, eine weiteres Drittel Gruppen von Studierenden aus aller Welt. Darüber hinaus haben wir viele Architekturtouristen als Besucher, welche die Karl-Marx-Allee besichtigen und bei dieser Gelegenheit bei uns reinschauen. Die übrigen zehn Prozent sind Nichtfachleute, über die ich mich immer besonders freue. Denn aufgrund ihrer speziellen Ausrichtung erfordern unsere Ausstellungen oft einiges an Vorkenntnis. Nichtsdestotrotz habe ich den Anspruch, meine Arbeit nicht nur Experten zu präsentieren und mit Kollegen zu diskutieren. Mir ist es ein wichtiges Anliegen, dass die Ausstellungen auch bei sogenannten Laien Interesse und Neugierde wecken. In gewisser Hinsicht möchte ich mit meiner Arbeit ja auch die Welt verbessern…

Sie beschreiben Architekturausstellungen als eine Form der „Praxis zeitgenössischer Architekturkommunikation“. Welche Rolle spielen Ihrer Meinung nach Ausstellungen für die öffentliche Wahrnehmung von Architektur und Baukultur?

Ich habe am Anfang bereits auf die verschiedenen Formate der Architekturvermittlung hingewiesen. Jedes einzelne hat seine Stärken und ist für sich betrachtet wichtig. Dennoch glaube ich, dass Architekturausstellungen in diesem Kontext eine besondere Rolle spielen. Obwohl man mit den Neuen Medien eine viel größere Reichweite erzielt, sind Ausstellungen einzigartig. Sie verdichten Informationen auf besondere Weise, sind nicht reproduzierbar und last but not least wichtige Orte in einer Stadt. In diesem Zusammenhang muss man unbedingt darauf hinweisen, dass es „die“ Architekturausstellungen natürlich nicht gibt. Je nach Inhalt, Zielpublikum, kulturellem Hintergrund etc. gibt es unterschiedliche Typologien, zum Beispiel: Monografische Supershows, die naturgemäß ein großes Publikum erreichen und anziehen, diskursive Ausstellungen zum Spannungsfeld zwischen Gesellschaft, Ökonomie und Politik und schließlich jene Crossover-Projekte, bei denen Künstler architekturverwandte Themen erforschen. Allen Formaten gemeinsam ist jedoch, dass sich ihr Erfolg nicht nur an den Besucherzahlen oder den Presserezensionen messen lässt. Oftmals spielt die Kommunikation über eine Ausstellung heutzutage eine fast größere Rolle als der Besuch derselben. In meinem Fall möchte ich behaupten, dass nur 20 Prozent der Leute, die über die Galerie sprechen, tatsächlich schon einmal eine Ausstellung gesehen haben. Die anderen erreichen wir über unsere Website, Facebook, Vorträge, Kritiken in der Presse oder mit unserem Programmkalender. Das mag bedauerlich sein, gehört für einen Ausstellungsmacher aber zu den Realitäten, denen er sich nicht nur stellen, sondern die er nutzen muss. Letztlich sind alle Wege legitim, wenn es um das große Ziel geht, das uns wohl alle antreibt: Immer neue Horizonte erreichen und dazu beitragen, die Banalisierung unserer gebauten Umwelt wenn schon nicht zu verhindern dann wenigstens zu verlangsamen.

Wo sehen Sie Potenziale, aber auch Grenzen des Mediums Architekturausstellung?

Das größte Potenzial ist die Arbeit mit der dritten Dimension. Nur eine Architekturausstellung kann Atmosphäre erzeugen und mit Originalen arbeiten. Dazu kommt die Möglichkeit verschiedene Medien zu kombinieren. Dabei kommt es immer darauf an, die „Nichtausstellbarkeit“ von Architektur weniger als Manko, sondern vielmehr als Chance zu betrachten. Nicht zuletzt sind Ausstellungen öffentlich zugänglich. In diesen Zusammenhang gehört auch die Beobachtung, dass das Format der Ausstellung in Zeiten zunehmender Virtualisierung als Begegnungsort an Bedeutung gewinnt. Aber es gibt natürlich auch systemimmanente Nachteile. Dazu zählen sicherlich der temporäre Charakter und die räumliche Gebundenheit. Außerdem sind Ausstellungen immer mit einem recht großen Aufwand verbunden – was sie aber wiederum vor Beliebigkeit schützt.

Seit 2010 geben Sie den Online-Kalender „AAB – Architektur Ausstellungen Berlin“ heraus. Welche Idee verfolgen Sie mit dieser Programmerweiterung?

Der AAB ist aus zwei Überlegungen heraus entstanden: Zum einen interessierte mich von Anfang an, welche Programme die Kollegen entwickeln. Denn trotzdem die Galerie eine sehr eigenständige Idee verfolgt, lebt sie natürlich von der ständigen Reflexion allgemeiner Entwicklungen, in die sie schließlich eingebettet ist. Die permanente Überprüfung und Feinjustierung der eigenen Arbeit betrachte ich als wichtige Grundlage für eine erfolgreiche Galeriearbeit. Zum anderen haben sich viele Galeriebesucher immer wieder danach erkundigt, welche Architekturausstellungen ich ihnen in Berlin empfehlen kann. Der „AAB – Architektur Ausstellungen Berlin“ erscheint alle zwei Monate übrigens nicht nur online, sondern auch als Printausgabe und liegt in allen relevanten Berliner Einrichtungen aus. Die Resonanz auf den Ausstellungskalender sowohl von Besuchern als auch von Kollegen war derart positiv, dass ich 2012 die Webseite „AAD – Architektur Ausstellungen Deutschland“ gestartet habe. 2014 wurde sie nach zweijähriger Recherchearbeit dann zu „AEX – Architecture Exhibitions International“ erweitert. Auf AEX sind aktuell mehr als 1400 Ausstellungsorte gelistet – ein richtiges Mammutprojekt also. Da die Website inzwischen 3000 bis 4000 Klicks pro Woche hat, gehe ich davon aus, dass sie nicht nur von Architekten genutzt wird. Die Überlegung geht deshalb dahin sie auch zu einem Informationstool für Städtereisende zu entwickeln. Außerdem ist AEX im Moment lediglich eine passive Informationsplattform. In Zukunft sollen die User auch aktiv eingebunden werden – da wir das alleine nicht leisten können, hoffe ich, dass wir für dieses Vorhaben Partner finden. Summa summarum kann man sagen, dass die Projekte AAB, AAD und AEX Informationsplattform, Forschungsprojekt und Vernetzungsinstrument zugleich sind.

Sie haben damit bereits einen Schritt in die Zukunft gemacht. Wo werden sich Ihrer Meinung nach Architekturausstellungen in den nächsten Jahren hin entwickeln?

Die Antwort auf diese Frage möchte ich gerne auf zwei Ebenen verhandeln: Über die erste – die formale – haben wir bereits gesprochen. Man kann nicht oft genug darauf hinweisen, dass sich Kuratoren und Ausstellungsmacher in Zukunft stärker mit den Neuen Medien auseinandersetzen müssen. Damit meine ich jedoch nicht, dass einfach mehr iPads in Ausstellungen platziert werden. Meiner Erfahrung nach ist vielen Kollegen noch nicht ausreichend bewusst, wie fundamental die Neuen Medien die Informationsströme und Wahrnehmungserfahrungen der potenziellen Besucher verändern. Letztlich werden sich jene Konzepte behaupten, denen es gelingt, ein ausgewogenes Verhältnis zwischen der virtuellen und realen Welt herzustellen. Die zweite Ebene betrifft die inhaltlichen Aspekte: Die Gestaltung unserer gebauten Umwelt ist zunehmend das Ergebnis von demokratischen Entscheidungsprozessen. Folgerichtig ist das auch das große Ausstellungsthema der Zukunft. Es reicht jedoch nicht aus, diese Prozesse lediglich darzustellen. Derartige Ausstellungen müssen zugleich auch Plattformen für Austausch und Begegnung werden. Für diese Art von Verknüpfung gibt es ja bereits viele gute Beispiele. Parallel zu den globalen Tendenzen der Architekturproduktion wird sich die inhaltliche Schere zwischen Ausstellungen über Stararchitekten und diskursiven Ausstellungen weiter öffnen. Wichtiger ist jedoch die Beobachtung, dass die Anzahl an Ausstellungsorten stetig steigt. Das gesellschaftliche Interesse an der Auseinandersetzung mit Architektur ist also groß und nimmt weiter zu! Deshalb würde ich abschließend gerne einen Wunsch äußern – auch wenn Ihre Frage nicht darauf abzielte: Für die Zukunft hoffe ich, dass es in Deutschland ein zentrales Architekturinstitut gibt, in dem sich das enorme Know-how aller Kollegen frei von ökonomischen Zwängen bündeln kann.

,