Der Tagesspiegel
Die Delikatesse düsterer Visionen
Von Jürgen Tietz

Review

Architektur und Zeichenkunst pflegen eine spannungsvolle Beziehung. Was wäre Karl Friedrich Schinkel ohne seine großformatigen Gemälde, die nicht nur einen Einblick in Griechenlands Blüte gewähren, sondern auch in seine Geisteswelt? Doch nicht alle großen Architekten waren begnadete Zeichner, wie das Beispiel Walter Gropius lehrt. Heute hat der Computer die Entwurfsutensilien Feder und Stift hinweggefegt. Daher gehören die 58 Architekturzeichnungen des Wahlberliners Sergei Tchoban, die derzeit im Werkraum der Architektur Galerie Berlin zu sehen sind (Karl-Marx-Allee 96, bis 6.10.), wohl zu einer aussterbenden Kunstgattung. Der gebürtige St. Petersburger schafft Blätter von delikater Qualität. Mit ihnen entführt er in eine traumhaft anmutende Architekturwelt, die von mächtigen Kuppeln und spiegelnden Wasserflächen beherrscht wird. Ein wenig düster und häufig monumental, begibt er sich mit Pastellkreide oder Tusche auf die Spur eines Piranesi. In ihrer gelegentlich altmeisterlichen Wirkung sind es jedoch nicht nur freie Architekturvisionen, die selbst im kleinen Format große Wirkung entfalten. Für den viel beschäftigten Architekten dienen die Zeichnungen als wichtige Zwischenstation auf dem weiten Weg vom gedachten zum gebauten Raum.