Als man im Jahr 2000 im Berliner Zentrum die 1973 eröffnete Großgaststätte „Ahornblatt“ abriss, wurde ein interessantes Bauwerk gegen eine in ihrer Banalität geradezu monströs zu nennende Bausünde ausgetauscht, deren Wirkung freilich nicht unterschätzt werden sollte: Seitdem hat im Berliner Zentrum die Zahl der in ihrer Banalität geradezu monströs zu nennenden Bausünden einen zuvor unvorstellbaren Aufschwung genommen. Aber der Abriss hatte auch ein Gutes: So durfte sich der Schöpfer des Ahornblatts, der Ingenieur Ulrich Müther (1934–2007), über eine von diesem Frevel angestoßene neue Wertschätzung seines OEuvres gerade unter jüngeren Architekten freuen; die Filme „Ein Baumeister auf Rügen“ und „Für den Schwung sind Sie zuständig!“ sowie diverse Bücher zu seinen Schalen-Bauten waren das Resultat.
Warum die beschwingte Schalenbauweise hierzulande seit rund vierzig Jahren so ganz aus dem Architekturgeschehen verschwunden ist, war eine Frage, die sich mir damals stellte – die postmoderne Allergie gegen diese untrennbar mit der internationalen Nachkriegsmoderne verbundene Formenwelt allein konnte doch wohl kaum als Grund genügen. Müther selbst erklärte es mir so: Schalen seien, so sparsam auch ihr Materialbedarf, inzwischen schlicht zu teuer; für sie bräuchte es geschulte Arbeiter statt ungelernter Kräfte, Sorgfalt und auch ein bisschen Zeit; Ressourcen also allesamt, für die im heutigen Bauwesen selten Platz ist.
In Indien ist das möglicherweise anders, zumindest in Auroville. Dort tüftelt die Architektin Anupama Kundoo seit ein paar Jahren an einer Bauweise, die sie Ferrozement nennt und die der Schalenbauweise verwandt ist: Hauchdünn gegossene Formen, gekrümmt oder geknickt und dadurch schon steif, werden mit unterschiedlichen, je nach örtlichem Vorkommen gewählten Materialien „bewehrt“: Grashalme, Bindfäden, Drahtgeflecht, was sich halt findet. Das Ziel: die Menschen befähigen, sich auch ohne die teuren Fertigprodukte aus den Industrieländern, die die heimischen Bautraditionen bedrängen, ein Dach über dem Kopf zu schaffen. „Building Knowledge“ heißt das Stichwort. In ihrer „Rede zur Architektur“ konnte Kundoo diese Praxis im letzten Jahr bereits einem staunenden ostwestfälischen Publikum vorstellen (Bauwelt 26.2016).
Wie belastbar die solcherart hergestellten Elemente tatsächlich sind, das war damals gerade an der Berliner TU von Kundoo und Mike Schlaich in mehreren Versuchsreihen erprobt worden: DIY-Architektur trifft High-End-Engineering, sozusagen. Die Ferrozement-Elemente waren danach in Kundoos Beitrag zur Architekturbiennale in Venedig zu sehen.
All das, also die Ferrozement-Bauweise mitsamt ihren in kräftigen Farben geheimnisvoll leuchtenden Sanden, Quarzen, Pigmenten, der TU-Workshop und der Biennale-Beitrag, sind nun noch einmal in Berlin fürs (Fach-)Publikum zu entdecken, und zwar in Ulrich Müllers Architekturgalerie im Block D Süd der Stalinallee – in einem Bau aus einer Ära also, in der die Schalenbauweise noch keinen Einzug gehalten hatte in die „Bauwelt“ der DDR, welche folgerichtig schon bald als verschwenderisch und ineffizient geschurigelt und folgerichtig beendet werden sollte.
Am 19. Oktober um 19 Uhr werden Kundoo und Schlaich im Galeriegespräch „Architektur Generator“ über Ferrozement, Tragversuche und Verständigungsprozesse sprechen.
Bauwelt 20.2017 Wissen bauen – Anupama Kundoo in der Architektur Galerie Berlin
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