Teil I der Ausstellungstrilogie „Berlin 2050“ mit Arbeiten von:
The University of Texas at Austin: Barbara Hoidn, Wilfried Wang
Potsdam School of Architecture: Bernd Albers, Jan Kleihues, Silvia Malcovati
Universidad de Navarra: Barbara Hoidn
Wie könnte Berlin im Jahre 2050 aussehen? Die erste von drei Ausstellungen zur Zukunft Berlins stellt die Möglichkeiten des inneren Wachstums, der konkreten Verdichtung von bestehenden Stadtteilen vor. Drei Architekturhochschulen zeigen ihre unterschiedlichen städtebaulichen Entwürfe zu fünf Standorten:
– Charlottenburg-Nord
– Karl-Marx-Allee
– Niederschöneweide
– Westhafen
– Westkreuz
BERLIN 2050: Grundlagen für eine konkrete Dichte
Die Bevölkerung Berlins wächst beständig; um 40.000 bis 60.000 pro Jahr. Im Jahre 2050 könnten in Berlin deutlich mehr als 4 Millionen Menschen leben. Wo und wie könnte dieser Zuwachs gestaltet werden? Welche gesellschaftspolitischen und kulturellen Ziele sollten gesteckt und wie sollten städtebauliche Entwicklungen dahingehend konzipiert werden?
Weil die suburbane Ausbreitung der Stadt so weit wie möglich vermieden werden sollte, widmet sich die erste von drei Ausstellungen dem Thema der urbanen Dichte und der Verdichtung von bestehenden Stadtstrukturen.
Urbane Dichte lässt sich nicht nur auf das zahlenmäßige Verhältnis von Bewohnern zur Fläche reduzieren. Urbane Dichte ist vielmehr! Urbane Dichte entsteht erst durch soziale und kulturelle Vielfalt der Mitbürger; sie umfasst das Angebot und die Verteilung an Wohnraum, Bildungseinrichtungen, Gesundheitsversorgung, Öffentlichem Nahverkehr, Nahversorgung, Gastronomie und Freizeiteinrichtungen.
Berlin hat beispielhafte, lebenswerte Eigenschaften, die weiterentwickelt und gestärkt werden sollten. Berlin ist damit sowohl Modell für die Zukunft als auch ein Labor für Neues. Kurze Wege zu verschiedenen Angeboten, gemischte Nutzungen, kulturelle und soziale Vielfalt machen beliebte Stadtteile aus. Hier ist der öffentliche Raum klar erkennbar, die Erdgeschosse oft mit öffentlichen Nutzungen und Gewerbe besetzt. Man fühlt sich wohl, und vor allem, man fühlt sich sicher. In diesen Quartieren stehen Bauten mit unterschiedlichen Grundrisseinheiten: von kleinen Wohnungen bis hin zu großen Gewerbeflächen.
Die Nachkriegssiedlungen sind großzügig vom öffentlichen Raum umgeben, die aber auch teilweise ebenso großzügig mit Parkplätzen belegt sind. Diese Siedlungen wurden für die autogerechte Stadt geplant. Die städtebaulichen Entwürfe zur Nachverdichtung dieser Siedlungen (Karl-Marx-Allee (II. Bauabschnitt), Charlottenburg-Nord, Otto-Suhr-Siedlung) versuchen den Charakter beizubehalten bei gleichzeitiger Weiterentwicklung sowohl der Gebäude- als auch Grundrisstypen um dem Quartieren eine zeitgemäße Urbanität zu geben.
Berlin erlebt seit der ersten Gründerwelle Ende des 19. Jahrhunderts ein viertel Jahrhundert nach der Wiedervereinigung eine dritte Gründerwelle. Es sind aber nicht mehr die großen Fabriken, die benötigt werden, sondern kleinteilige Unternehmen brauchen flexible und großzügige Räume, damit sie sich auch in der unmittelbaren Zukunft entwickeln können. In Zukunft werden aber auch einzelne Menschen mehrere Tätigkeiten ausüben, sowohl an einem klassischen Arbeitsplatz als auch zuhause. Für letzteres eignen sich die gründerzeitlichen Bauten auf ideale Weise. Die Wohnungstypen der Moderne sind dagegen starr. Wie sehen also die zukünftigen Räume für die parallele Wohn- und Arbeitswelten aus?
Innerstädtische Gewerbegebiete wie der Westhafen oder Verkehrsinfrastruktur-Resträume wie am Westkreuz sind aufgrund ihrer zentralen Lage prädestiniert in die Gesamtstruktur der Stadt integriert zu werden. Historische Brüche können so im Sinne einer Großstadt geschlossen werden. Aber auch periphere Industriebrachen wie in Niederschöneweide oder Quartiere, die sich im Umbruch befinden, wie in Reinickendorf, werden aufgrund des kontinuierlichen inneren Wachstums zu innerstädtischen Entwicklungsräumen.
Berlin muss bis 2050 wieder selbst als Stadt kräftig in Wohnungsbau investieren und darüber hinaus planungsrechtliche Grundlagen für sozial gemischte Wohnungen innerhalb eines Gebäudes geschafft haben. So wird es in Zukunft weniger den reinen Sozialen Wohnungsbau geben als Wohnungen für alle Mietergruppen, und das, innerhalb aller Neubauten und über die ganze Stadt verteilt.
Wie sieht die Mobilität im Jahr 2050 aus? Wir gehen davon aus, dass sich das autonome Fahren durchgesetzt haben wird. Die Zahl der Besitzer von Verbrennungsmotoren-PKW wird auf ein paar Sammler zurückgehen. Damit sind die Straßen und Siedlungen größtenteils von Parkplätzen befreit und für Radwege, urbanes Grün/urbane Landwirtschaft oder, im Falle der Siedlungen, für Neubauten nutzbar.
Die Ausstellung stellt die These auf, dass durch innere Nachverdichtung eine konkrete Dichte – nicht nur statistisch, sondern gesellschaftlich-kulturell – erzielt werden kann. Es liegt noch viel Potential in der Stadt selbst. Berlin kann diesen Schatz aber nur gemeinsam mit der Bevölkerung heben, wenn allen bewusst wird, dass die innere Nachverdichtung Flächen an der Peripherie schont und Wege kurzhält, die Stadt mit den Wohnungsbaugesellschaften wieder das Zepter der Grundsatzbestimmungen in die Hand nimmt und somit die Stadt wieder als Sachwalter der Allgemeinheit, auch der Bedürftigen, auftritt. Um dieses zu erreichen wird Berlin und seine Einwohner wieder aktiv eigene Konzepte und Pläne entwickeln und zur Diskussion stellen.
In diesem Sinne möchte die Ausstellungsreihe zu Berlin 2050 die öffentliche Diskussion anregen.
Bernd Albers, Barbara Hoidn, Jan Kleihues, Silvia Malcovati, Wilfried Wang
Berlin, August 2017