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Architektur Galerie Berlin

Vorschaubild zu „Hansjörg Schneider“

Hansjörg Schneider: Dapolin, 250 x 330 cm, Planenstoff/Intarsie, 2005

Eröffnung

Hansjörg Schneider Planen @Satellit

Begrüßung: Ulrich Müller

In seinem facettenreichen Œu­v­re hat sich Hansjörg Schneider immer wieder intensiv mit Architektur auseinandergesetzt und daraus seine künstlerischen Themen generiert. Das Spektrum reicht von analytisch orientierten Arbeiten über assoziative Reflexionen bis zur Thematisierung urbaner Strukturen. Nachdem Schneider 2006 das erste Mal seine Papierschnitte von Ikonen der klassischen Moderne in der ARCHITEKTUR GALERIE BERLIN gezeigt hat, folgten die großformatigen „Planenschnitte“ und schließlich „Yesterday’s Tomorrow“ mit Fokus auf dem historischen Kontext utopischer Architektur. Die Ausstellung im SATELLIT mit dem doppeldeutigen Titel „Planen“ ist eine Hommage an die unermüdlichen Perspektivwechsel, aus denen Hansjörg Schneider das „Rohmaterial“ Architektur untersucht und uns für die Komplexität unserer gebauten Umwelt sensibilisiert.

Hansjörg Schneider: Notizen zur Ausstellung, Architektur Galerie Berlin SATELLIT, 2016

Expanderseile verspannen die vier großen Objekte aus Planenstoff vor der Wand. Das textile Material ist als LKW-Plane gebräuchlich – im weißen Galerieraum wirkt es kraftvoll, fast roh. Seine Textur und intensiven Farben erzeugen eine plakative Präsenz. Erst auf den zweiten Blick erschließt sich die handwerklich aufwändige Intarsientechnik. Indem die einzelnen Formen aus verschieden farbigen Bahnen ausgeschnitten und ineinander eingelegt wurden, ergibt sich eine perfekt ebene Oberfläche.

Der Galerieraum besitzt die Form eines lang gestreckten Quaders. An den Stirnwänden der Galerie hängen vis à vis zwei hochformatige Treppenhäuser. Das zweite Paar, zwei querformatige Ansichten, befindet sich an der Längswand. Das halbrunde Volumen eines verglasten Innenraumes in signalrotem Umfeld wird flankiert von einem städtischen Ensemble mehrstöckiger Häuser in Hanglage in Grau und Silber.

Erich Mendelsohn ist der Architekt der beiden Treppenhäuser. Das eine befindet sich im IG Metallhaus in Berlin, das andere im südenglischen De-La-Warr-Pavillon. Die Baugeschichte beider Gebäude liegt nur ein gutes halbes Jahrzehnt auseinander. Die Zentrale der Metall-Gewerkschaft entstand 1927 bis 1929, der maritime Pavillon 1934/35. Zwischen der Errichtung beider Gebäude liegt die Flucht Mendelsohns vor den Nationalsozialisten.

Die beiden querformatigen Planen basieren auf Motiven aus dem Kasseler Stadtraum. Links hängt die Kanzel der Dapolin Tankstelle von 1930, rechts die Treppenstraße, die als typisches Beispiel für die Stadtplanung der Fünfziger Jahre gilt. Ebenso wie die beiden Treppenhäuser besitzen auch diese zwei Bauzeugnisse einen ikonischen Status in der Architekturgeschichte. Die Dapolin Tankstelle kam schon kurz nach ihrer Errichtung zu internationaler Reputation, als sie in der Ausstellung „The International Style“ im MoMa in New York Erwähnung fand.

Die strikte Vereinfachung auf zwei bis drei Farbflächen und die nur angedeutete Räumlichkeit ignorieren die gewohnten Konventionen der Architekturdarstellung. Hier werden die Baufragmente weder beschrieben noch dokumentiert. Stattdessen nähern sich die vier Motive einander an ­– als wären sie aus einem homogenen geistigen Stoff geschaffen. Die radikal reduzierte Darstellung erscheint wie der Blick durch ein Teleskop,  das nur wenige Eigenschaften eines Bauwerks zeigt und alle weiteren Qualitäten außer Acht lässt. So konzentriert sich die Aufmerksamkeit auf individuelle Unterschiede und typologische Gemeinsamkeiten. Der Blick wird geschärft für den unterschiedlichen Krümmungsgrad der aufsteigenden Spirallinien im Fall der beiden Treppenhäuser, für den geometrisch inspirierten Entwurf eines funktionalen Raumes oder für die locker gestreute Verteilung von Fensterbändern einer Straßenplanung. Nichts dabei ist zufällig, jede Eigenschaft Teil eines größeren Zusammenhangs, einer Kontingenz der Moderne.

Nachvollziehbar wird die Entwicklung vom robusten Berliner Treppenhaus zum elegant-leichten De-La-Warr-Pavillon, mit der sich bereits die Schwerelosigkeit der 50iger Jahre ankündigt. Das visuell Wahrnehmbare spielt sich vor dem Hintergrund von Geschichte und Politik ab. Neben dem Sichtbaren wirkt potentiell Unsichtbares: das Dazwischen, die zeitliche und räumliche Differenz. Das zielt auf eine Ikonisierung der Architekturgeschichte. Doch geht es nicht vordergründig um starke Bilder, sondern darum, aus der Flut von Bildern komplexe Embleme zu destillieren, um diese dem allgemeinen Vergessen entgegen zu stellen.

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