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Architektur Galerie Berlin

Baunetzwoche 442 Auf der Suche nach Chikei – Norihiko Dan Ausstellung in Berlin

Luise Rellensmann

Anders als Toyo Ito, Kazuyo Sejima oder Sou Foujimoto ist sein Name dem deutschen Publikum weniger geläufig, die meisten Architekturkenner werden jedoch Bauten aus dem vielfältigen Werk Norihiko Dans begegnet sein, wie etwa dem Flagshipstore für Hugo Boss (2013) auf Tokios High-End-Shoppingmeile Omotesando. Derzeit ist der japanische Architekt in der Architektur Galerie Berlin zu Gast. Chikei lautet der geheimnisvolle Titel der Ausstellung, im weitesten Sinne sei das als Gelände zu übersetzten und könne als Schnittstelle zwischen Mensch und Erde verstanden werden, erklärt der Ausstellungstext. Der Versuch, den Begriff mit gezielten Fragen im Gespräch mit dem Architekten konkreter einzugrenzen, scheitert zunächst. Eine Annäherung oder ein deutsches Gebäude, das seinem Verständnis einer perfekten Symbiose von Landschaft und Architektur gerecht wird, kennt der in Yale ausgebildete Architekt nicht. Wie aber kann man bei einem die Natur dominierenden Bauwerk wie einem Staudammkomplex, den Dan 1999 realisierte, ein solches Zusammenspiel erkennen? Als Analogie seines Verständnisses von Chikei beschreibt Dan in einer Skizze die Zubereitung eines Eintopfes: Viele verschiedene Zutaten werden mit einer Mehlschwitze eingedickt. Auf die Architektur übertragen, wird das Prinzip anhand des in der Ausstellung gezeigten Modells des Nishikyogoku Schwimmbadkomplex (2002) in Kyoto nachvollziehbar. „Der Erdaushub, der normalerweise abgetragen und wegtransportiert wird, hatte hier ein Volumen von knapp 90.000 Kubikmetern, der zu realisierende Gebäudekomplex 180.000 Kubikmeter, der Neubau hat jetzt ein Volumen von 270.000 Kubikmetern – das ist Chikei!“ Dan kritisiert, dass für viele Projekte Baugrund planiert und gerodet wird, Unmengen an Erde werden wegbewegt, er hingegen versuche, diese in seine Projekte zu integrieren. Das Besucherzentrum des Sonne-Mond-Sees in Taiwan (2003) ist ein weiteres Beispiel für dieses Konzept: In dem oft heißen Klima bekommt die Erde, die er hier teils über dem Baukörper anschütten ließ, eine isolierende/energetische Funktion. Das Gelände als Baugrund oder gar als Materie, aus dem ein Haus (mit-)entsteht, die Erde als Ressource, ist ein Thema bei Norihiko Dan, der sich auch als Umweltaktivist versteht.

Aus den verschiedenen Beispielen wird die Mehrdeutigkeit offenbar, Chikei scheint verschiedene Aggregatzustände zu verkörpern. In seiner eigens für die Ausstellung geschaffenen räumlichen Intervention, die ein Plateau, ein Podest und gleichzeitig eine Sitzgelegenheit schafft, macht er das für sein Werk zentrale Thema für den Galeriebesucher erlebbar. Beste Veranschaulichung des Prinzips sind die vier an der Wand angebrachten Papierarbeiten, in denen sich Dan künstlerisch mit Chikei als einer Art Zwischenzustand auseinandersetzt. Mal durch bloße Faltung mit den Händen, mal durch den Einsatz eines reisbasierten Klebstoffes oder einfach durch das Tropfen von Wasser auf Papier, sind Reliefs entstanden: „Das Wasser verdunstet, aber der Ausdruck, den es dem Papier gegeben hat, bleibt“, so Dan. Die dreiteilige Ausstellung aus räumlicher Transformation, Modellen sowie den Arbeiten auf Papier gibt keine eindeutige Antwort, aber eine sehr schöne Ahnung davon, was Chikei sein kann. Am 25. Februar gibt es noch einmal die Gelegenheit, den Architekten im Gespräch mit der Japan-erfahrenen Berliner Architektin Johanna Meyer-Grohbrügge zu erleben. Zum Nachlesen ist in der Portfolio-Reihe des Jovis Verlag eine Monographie über Norihiko Dan erschienen.