German Architects
Wahrnehmungskunst
Von Wolfgang Kil

Review

Die ambitionierte Architektur Galerie Berlin beginnt ihr Programmjahr 2012 mit Fotografie. Ausgewählt hat Galerist Ulrich Müller diesmal drei Fotografen, die im Metier professioneller Architekturablichtung keine Unbekannten sind. Deswegen erhalten Herta Hurnaus, Ivan Baan und Jan Bitter hier die Carte blanche: Jeder darf ein Projekt aus seinem „Kürprogramm“ zeigen, was zu manch anregendem Dialog zwischen Machern und Betrachtern von Architektur führen dürfte.

„Was wäre aus der Moderne ohne ihre Fotografen geworden“, so die inzwischen wohl eher rhetorische Frage von Andres Lepik in seiner Einführungsrede, die Ivan Baan mit seinen vor Vitalität strotzenden Bildeindrücken aus Brasília und Chandigarh überraschend konterkariert: Er spielt souverän mit den längst verfestigten Ikonen, indem er dem Alltag nachspürt, der sich in deren oft überwältigender Wucht eingenistet hat. Da durchkreuzt dann eben ein Händler mit seiner Popcorn-Karre Niemeyers monumentales Regierungsforum, ein armer Nobody putzt sich die Zähne im Staatsbeton von Le Corbusier. Honorigste Fotografentradition! Im Banne solcher Wahrnehmungskunst hatten einst René Burri und andere Überväter aus der Magnum-Liga ihre gebaute Umwelt in Bilder gesetzt und so der Architektur ihre Rolle im jeweiligen Zeitgefühl unaufdringlich gewiesen.

Ähnlich gegen alle Erwartungen abgezirkelter und entzerrter Häuserdarstellung arbeitet die in Wien lebende Herta Hurnaus, wenn sie die Nutzer jeweiliger Baulichkeiten in den Vordergrund rückt. Doch hinter ihrer Serie wundervoll atmosphärischer Schwarz-weiß-Fotografien über einige kleine Bauobjekte im ländlichen Milieu steckt erst die eigentliche Überraschung: Diese Bilder sind einem Auftrag zu verdanken! Das „Haus der Architektur“ Steiermark vergibt neuerdings Auswahl und Bebilderung seiner Jahrbücher an jeweils einen Kurator und einen Fotografen. Verfechtern demokratischer Konsensbildung mag solche Vorgehensweise ein Gräuel sein; bei einer so einfühlbereiten wie sinnlich ausdrucksbegabten Fotografin wie Hurnaus schafft das Resultat einfach nur Freude – eben wie eine Reise durch Steiermärkische Baukultur unter riesigen Himmeln, Grillenzirpen, Kindergeschrei. Einsteigen, mitreisen!

Bei Jan Bitter bleibt solche Verzauberung aus. Er tritt in der Berliner Schau mit Bildpaaren an, die aus anscheinend willkürlichen Hälften zueinander gefügt sind. Das Ergebnis macht ratlos (die zusammenhanglosen Inhalte betreffend) und nach längerem Hinsehen Augenflimmern (wegen der Splitterhaftigkeit vieler Motive). Eine fotografische Paraphrase auf den Dekonstruktivismus? Oder Ausdruck von Überdruss an allzu glatt gestriegelter „Schöner Neuer Welt“? Das soll ja bei vielbeschäftigen Architekturlichtbildnern hin und wieder vorkommen, es ließe sich gar als Indiz beruflicher Ernsthaftigkeit werten. Nur gehören dagegen empfohlene Lockerungsübungen nicht unbedingt an Galeriewände – es sei denn, man insistiert darauf, dies sei nun aber wirklich KUNST.