David Kasparek, 25.5.2020
Am 23. März 2020 beschloss das Kabinett die zwei von Bundesgesundheitsminister Spahn vorgelegten Formulierungshilfen für Gesetzentwürfe. Die Folgen des „COVID19-Krankenhausentlastungsgesetz“ und das „Gesetz zum Schutz der Bevölkerung bei einer epidemischen Lage von nationaler Tragweite“ halten seitdem das Land in Atem, die Rede war von Shut- oder (fälschlicher Weise) gar von Lockdown. Sicher ist: Die Maßnahmen haben gewaltige Auswirkungen auf die Gesellschaft. Wie handhaben verschiedene Disziplinen der Architektur die Krise mit all ihren Phänomen? Diese Serie befragt unterschiedliche Akteure aus dem Bereich der Architektur-Produktion, den Anfang macht das Ausstellen.
Die Einschränkungen infolge der Sars-CoV-19-Pandemie haben die unterschiedlichen Ausstellungshäuser und -räume im Land gleichermaßen getroffen. Von einem Tag auf den anderen galt es, die Türen zu schließen. Ulrich Müller, der die Architektur Galerie Berlin auf der sozialistischen Prachtstraße Karl-Marx-Allee betreibt, sagt: „Von jetzt auf gleich schließen, bedeutet für die Galerie, dass keine Einnahmen mehr erzielt werden können.“ Müller finanziert seine Galerie „ausschließlich durch Zuschüsse der Architekten sowie Nutzungsgebühren für Veranstaltungen“, wie er erklärt. Das laufende Programm musste er schon jetzt beachtlich zusammenstreichen: „Aktuell haben wir die ab 13. März geplante Ausstellung von Oskar Grąbczewski, die ab 23. April geplante Ausstellung ‚Architektur Galerie Berlin XX‘ zum 20-jährigen Galeriejubiläum und die ab 8. Mai geplante Schau von MVRDV abgesagt.“ Derzeit gehe dennoch er davon aus, dass die für September und Oktober sowie November und Dezember geplanten Ausstellungen stattfinden. Bis dahin versucht er, mit den Soforthilfen des Berliner Senats und der Bundesregierung auszukommen, die er „glücklicherweise erhalten habe“. Die dürfen allerdings nur für Miet- und Nebenkosten verwendet werden, reichen nach Auskunft Müllers nur für knapp drei Monate. „Obwohl das eine gute Sache ist, laufen die übrigen Kosten ebenfalls weiter und wenn es sich schlecht entwickelt, hat die Pandemie Auswirkungen bis weit ins nächste Jahr hinein.“
Physische Orte und digitale Strategien
Auch Nicola Borgmann von der Architekturgalerie München konnte auf öffentliche Gelder zur Unterstützung zurückgreifen: „Das hilft uns, die vergangenen Wochen zu finanzieren.“ Die mit internationalen Partnern geplanten Ausstellungen können aber auch in München nicht stattfinden. Mit der mexikanischen Architektin Tatiana Bilbao, den dänischen Büros von Dörte Mandrup und COBE und dem kanadischen Fotografen David Ross fallen hochkarätige Präsentationen der Pandemie zum Opfer. „Aber das wird nachgeholt“, verspricht Borgmann. Außerdem hat die Galeristin die vergangenen Wochen für Umplanungen genutzt. Das neue Konzept sieht monographische Ausstellungen lokaler Büros vor, um mit einer größeren Anzahl von Veranstaltungen Besucher und Besucherinnen zwar in kleineren Gruppen, dafür aber stetig empfangen zu können.
Die Hygienevorschriften sind für die beiden Galerien zudem ein Problem – wenngleich Borgmann wie Müller ihre Richtigkeit betonen. In die Räumlichkeiten von Ulrich Müller dürfen nach den Vorschriften der lokalen Behörden maximal drei Personen gleichzeitig. An einen gewohnten Betrieb ist da nicht mehr zu denken. Die Galerie war und ist für Müller stets „primär ein physisches Tool.“ Er macht deutlich: „Seit zwanzig Jahren ‚predige‘ ich, dass die Ausstellungen Artefakte zum Anfassen, Riechen, Schmecken und zum räumlichen Erfahren präsentieren müssen.“ Architektur zum Begreifen also und als Anlass für Gespräch, Austausch und Netzwerken. Mindestens der gesellige Teil ist derzeit nicht denkbar. Auch deshalb hadern Nicola Borgmann und Ulrich Müller mit einer Verlegung ins Digitale. „Die Architekturgalerie München versteht sich als Plattform für den Diskurs über Architektur, ein Ort, der über Veranstaltungen an Architektur interessierte Menschen aus aller Welt zusammenführt und für unsere Themen begeistert“, führt Borgmann aus und fügt lachend an: „Dies virtuell zu machen, ist nur der halbe Spaß.“
Ihr Berliner Kollege hat zwar nach eigenem Bekunden intensiv über Alternativen – etwa die Verlegung ins Web – nachgedacht, umsetzen ließ sich jedoch nur wenig davon. „Wie viele andere auch“, so Müller, „haben wir unsere digitalen Aktivitäten, zum Beispiel auf Instagram, verstärkt.“ Die Kosten für weitergehende Videoproduktionen aber seien zu hoch, über einen digitalisierten Bestand, der als Schatz gehoben werden könnte, verfügt die Galerie zudem nicht.
Das ist bei den städtischen Häusern anders. Peter Cachola Schmal, Direktor des Deutschen Architekturmuseums in Frankfurt, konnte Filme, wie die über die seit dem 5. Mai wieder geöffnete Ausstellung „Neue Heimat“ für Social Media-Plattformen ebenso produzieren lassen wie Webinare, etwa zum DAM-Preis. Formate, „die wir künftig weiter ausbauen werden“, so Cachola Schmal. Jury-Sitzungen am Computer seien zwar anstrengender als „eine normale Jury“, bekundet er, doch würden die gewonnenen Erfahrungen sicher auch bei künftigen Preisgerichten eingesetzt werden. Für das DAM stellt sich die Herausforderung aktuell entsprechend anders dar, als für die strukturell unterschiedlich ausgerichteten Galerien. Jetzt, nach Wiederaufnahme des Betriebs, „entstehen große finanzielle Differenzen“, erklärt Cachola Schmal: „Vollbetrieb und alle Ausgaben auf der einen Seite, aber weniger Einnahmen auf der anderen Seite, weil weniger Besucher kommen dürfen.“
Neue Heimat, ja – Lego, nein
Auch das DAM hat alle notwendigen Hygiene-Maßnahmen getroffen. Plexiglas-Scheiben und Masken zum Verkauf an der Kasse, Desinfektionsmittel am Eingang, Einbahnstraßensystem im Museum, Begrenzung der Besucherzahlen pro Ausstellung, dazu wird das Aufsichtspersonal mit Masken ausgestattet. Was während des Shutdowns nicht an Geldern eingenommen wurde, konnte wenigstens teilweise durch entsprechend geringere Ausgaben – beispielsweise für Sicherheitsdienste – kompensiert werden. Alle Ausstellungen wurden verlängert, einzig die in Kooperation mit der dänischen Universität Aarhus avisierte Schau „Architects draw“ musste abgesagt werden. Gleiches gilt für die ansonsten und seit jeher beliebte Lego-Baustelle. Und so ist Peter Cachola Schmal, „sehr froh, dass wir wieder geöffnet haben.“
Für Ulrich Müller in Berlin stellt sich das aktuell nicht ganz so einfach dar. Zwar stehen die Türen auch zu seine Galerie seit dem 5. Mai wieder offen, gezeigt wird derzeit „Natascha Paulick. Granddaughter Meets Grandfather“, allerdings ohne die üblichen Events. Die Eröffnung mit Gabi Dolff-Bonekämper und das Galeriegespräch mit Eduard Kögel, die einen wesentlichen Teil des Programms ausmachen, sind den Einschränkungen zum Opfer gefallen. Als Ersatz dafür bietet die Galerie tägliche Führungen mit Natascha Paulick an, deren Großvater den Kiez, in dem sie selbst wohnt und die Galerie ansässig ist, in den 1950er Jahren mit geplant hat. Neben den für den Moment abgesagten Ausstellungen wird aufgrund der drastischen Einschränkungen in Polen auch die Ausstellung von Tomasz Konior im Sommer nicht stattfinden können. Die Architekturausstellungen lassen sich dabei theoretisch leicht nachholen. Anders sieht es mit dem Jubiläum aus: „Für das Galeriejubiläum ist es bitter“, konstatiert Ulrich Müller. Bei den drei zu diesem Anlass geplanten Veranstaltungen sollten die von ihm geschätzten Kolleginnen und Kollegen Nicola Borgmann, Kristin Feireiss, Angelika Fitz und Martino Stierli zu Wort kommen, als weitere Gäste hatten unter anderem Louisa Hutton und Ines Weizman zugesagt. „Nun ist der Höhepunkt des Jahres ausgefallen und lässt sich für eine so kleine Institution wie die Galerie nicht so einfach neu organisieren.“
Plötzlich aktuell
Zwar ist auch ihre Architekturgalerie München wieder geöffnet und zeigt eine Schau, die sich mit der momentanen Arbeitssituation auseinandersetzt, dennoch plagen Nicola Borgmann weitere Sorgen: „Unser Design-Build-Projekt in Äthiopien, der Bau einer Schule mit den Studierenden der Südäthiopischen Architekturfakultät der Universität von Arba Minch, ist finanziell gefährdet“, so die Galeristin. Material wird knapp und teuer und die Studierenden dürfen nicht mehr auf die Baustelle. „Ein noch ungeklärtes langes Thema, das mich sehr beschäftigt“, wie sie bekennt. Dennoch: „No-Stop Homeoffice“ zeigt seit dem 13. Mai eine Superstruktur, für die der junge Architekt Florian Bengert mehr als 800 home offices weltweit gesammelt und diese neue Arbeitslandschaft als kollektives Gebilde kartiert hat.
Die Sorge um die eigene Zukunft eint beide Galerien. Nicola Borgmann benennt die Konsequenzen deutlich: „Wenn die Versammlungsauflagen dauerhaft so bleiben, ist der Betrieb nicht weiterzuführen.“ Ulrich Müller schlägt in Berlin ähnliche Töne an. „lm Extremfall heißt das: Wenn sich der aktuelle Zustand verstetigt, ist das aktuell etablierte Format der Galerie in Zukunft vielleicht gar nicht mehr möglich.“ Die bittere Ironie dabei: Um das Verhältnis zwischen Analog und Digital sollten sich auch die Fragen drehen, die Ulrich Müller zum 20-jährigen Galeriejubiläum mit Nicola Borgmann, Angela Fitz, Louisa Hutton und Kristin Feireiss diskutieren wollte: „In drei Veranstaltungen sollte besprochen werden, wie wir als Ausstellungs-Locations mit den Herausforderungen des Digitalen umgehen. Die Pandemie hat das Thema auf eine Art und Weise und in einer Geschwindigkeit aktuell gemacht, dass wir im wahrsten Sinne des Wortes nicht mehr hinterher kommen.“