Architektur Galerie Berlin

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Berührungspunkte Mai 2011
Stand der Dinge

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Ich bin dafür, dass der Beruf des Architekten abgeschafft wird. Denn obwohl er eine ähnlich große und lange Tradition wie der der Ärzte, Banker und Rechtsanwälte hat, ist er – im Gegensatz zu diesen – heute nicht mehr relevant. Ohne Architekten gäbe viel weniger Probleme: Bauherren müssten sich nicht mehr mit lästigen „künstlerischen“ Ideen auseinandersetzen, gleichzeitig bliebe es den Architekten erspart, ständig gegen Windmühlen anzurennen. Für den zahlenmäßig im Prinzip zu vernachlässigenden Fall, dass die bereits millionenfach erprobten Fertigbauten nicht funktionieren, könnten qualifizierte Baufirmen Sonderlösungen entwickeln, die trotzdem sehr effektiv sind. Der volkswirtschaftlich nicht unerhebliche Aufwand für die Ausbildung von Architekten könnte sinnvoll für Dringenderes verwendet werden. Zum Beispiel werden viel mehr Bauingenieure benötigt, die sich auf der Baustelle auskennen; damit sind Architekten ohnehin überfordert. Künstlerisch ambitionierte Mitmenschen könnten ihre Kreativität bei Bedarf in Werbeagenturen oder entsprechenden TV-Mottshows sinnvoll einsetzen. Nicht zuletzt bräuchten Handwerker nur noch auf von der Industrie entwickelte Standarddetails zurückzugreifen und könnten auf diese Weise viel zügiger ihr Werk vollenden. Vermutlich gäbe es vereinzelt Einwände, dass die Welt ohne Architekten ärmer wäre. Aber die Mehrheit der Bevölkerung würde das mit Sicherheit nicht einmal bemerken. Denn die Zeiten sind vorbei, in denen eine wie auch immer geartete Minderheit das notwendige Vertrauen der Mehrheit besitzt um zu bestimmen, was schön, sinnvoll, angemessen etc. ist. Die meisten Menschen verfügen heutzutage nachweislich über ausreichende Mittel und Kenntnisse um sich – im Einklang mit den anerkannten gesellschaftlichen Zielvorstellungen – erfolgreich wie nie zuvor selbst zu verwirklichen. Das ist es, was ich höre, wenn ich das Ohr aus dem Elfenbeinturm nach außen richte.

Zwangsläufig wird die Luft für Architekten immer dünner und das Verhältnis zum Bauherrn immer schwieriger. Was Loos in seinem „vom armen, reichen Manne“ überspitzt formuliert hat, ist in eine vollkommen diametrale Richtung gelaufen. An die Stelle von totalen Vorstellungen ist der absolute Kontrollverlust getreten. Denn das meist zutreffende Sprichwort Die Wahrheit liegt in der Mitte funktioniert in Sachen Architektur nicht. Nur einer relativ geringen Anzahl von Architekten ist es heute noch möglich, individuelle, künstlerisch anspruchsvolle Lösungen für eine kleine Gruppe spezieller Bauherrn zu entwickeln, die sich auf diese Weise von der Mehrheit unterscheiden möchten. Dieser kulturelle Klassenunterschied sorgt letztlich dafür, dass der Beruf des Architekten zumindest als Biotop überlebt. Alternativ müssten Architekten wieder mehr praktische Kompetenz entwickeln um verlorenes Terrain zurückzuerobern. Diese Bemühungen würden flankierend konkrete staatliche Maßnahmen benötigen, die – wie in anderen Ländern erfolgreich praktiziert – Architektur als gleichwertiges Lebensziel wie Gesundheit, Arbeit und Wohlstand vermitteln. Entsprechende wirtschaftliche Anreize könnten nicht zuletzt systemimmanente Fragen wie Nachhaltigkeit etc. integrieren. Das alles sehe ich jedoch nicht.