Der Knöterich ist das It-Girl am Bau.
Scheinbar werden die Städte der Zukunft immer grüner – tatsächlich geht es meistens um Greenwashing.
Man stelle sich jetzt bitte mal vor: das größte Bauwerk des Universums. Ein dermaßen gigantisches Werk, gegen das Putins Übergrößen-Immobilie am Schwarzen Meer aus der jüngeren Villa-Godzilla-Historie verzwergt. Eines, gegen das der 828 Meter hohe Burj Khalifa in Dubai als aktuell höchstes Haus der Welt zum Zahnstocher wird. Eines, gegen das „The Line“ als titanische Koks-Linie von Saudi-Arabien, geplant als 170 Kilometer lange Bandstadt für neun Millionen Einwohner am Roten Meer, verschlumpft. Dieses allergrößte Haus unter allen größten Häusern der Welt befindet sich, wo auch sonst, in Berlin. Noch bis zum 2. März – und leider nur in Form von Texten, Skizzen und Berechnungen. Zu sehen ist das wahnsinnige, eigentlich aber wahnsinnig vernünftige Projekt namens „Die Röhre“, das sich der vor gut zwanzig Jahren in München gestorbene Architekt Günther Eckert als Utopia ausgedacht hat, in einer kleinen, bestürzend gegenwartsrelevanten Ausstellung. In der Architektur Galerie Berlin an der Karl-Marx-Allee. Die Röhre besteht aus einer 35 000 Kilometer langen Konstruktion mit einem Durchmesser von 250 Metern, die – auf Pylonen ruhend – in einer Höhe von 300 Metern einmal um die Erde herumgeführt wird. Zwischen dem 40. und 50. Breitengrad. Etwa mit folgenden Stationen: Le Havre – Saarbrücken (na bitte!) – Budweis – Wolgograd – Ulan Bator – Sapporo – Boston – Brest … Was das soll? Das sollte, erdacht am Ende der noch zum technologischen Träumen aufgelegten, aber auch durch Ölkrisen und die Studie „Grenzen des Wachstums“ erschütterten Siebzigerjahre, das neue Öko- Habitat der Menschheit werden. Für damals knapp viereinhalb Milliarden Menschen. Also nur ein Haus, okay, ein sehr großes Haus, für alle und alles. Damit sich die Natur mal erholen kann von ihren mörderischen Peinigern. Tja, von uns. Dieses „Kontinuum“ voller neuartiger Siedlungsformen statt der Einfamilienhauswüsten, voller Kommunikations-, Bildungs-, Kultur- und Handelseinrichtungen, voller Ideen für eine autarke Energieversorgung auf der Grundlage von Sonne und Wind, voller Überlegungen zu Landwirtschaft, Güterproduktion und einem Sozialsystem der Gerechtigkeit, hat Eckert penibel durchgeplant. Es ist keine vage Idee. Sogar der präzise Lebensraum stand fest: jeweils 87 Quadratmeter. Die Kosten? 340 000 Mark pro Person – wofür es heute vielleicht noch eine Garage bei München gibt.
Die Fantasie überlassen wir Disney
Das Ganze war auf verblüffende Weise realistisch und verschwand schon allein deshalb in den Archiven. Weil undenkbar. Leute, die mal was anderes denken, scheitern ja letztlich immer daran: an den Denkverboten der Denkfaulheit. Beziehungsweise am Vollkaskodenken der Beharrung. Am Status-quo-Zement jener machthungrigen Hierarchen, die als Filialleiter des Elends noch nie in ihrem Leben auch nur eine Idee hatten und Fantasie für die Aufgabe von Disney halten. Die Röhre ist eine radikale, in letzter Konsequenz aber auch radikal ökologische Siedlungstheorie. Am besten aber: Die Skizzen kommen ohne jeden Firlefanz-Grünanstrich aus – also ohne jene Deko-Blütenbl.tter, die die zeitgenössische Architektur auszeichnen. Die grünste Architektur, die je ersonnen wurde, kommt also ausnahmsweise ohne die in Architektur und Städtebau allgegenwärtig angesagte und meistens als Etikettenschwindel fungierende Farbe Grün aus. Ohne all die üblichen Draperien, ohne Hecken, Pflanzen, Farne, Gräser, Moose, Flechten … ohne das Fassadenornament der floralen Gegenwart. Ohne „alternative“ Baustoffe, ohne Lehm und Hanf und Hundertwasser-Emblematik. Wobei nichts, gar nichts zu sagen ist gegen Baustoffe (wie etwa Lehm), die besser sind gegen den Klimawandel – als Stahlbeton. Das ist der kohlenstoffdioxidintensive bad guy am Bau. Nichts ist auch zu sagen gegen all die bemerkenswerten Versuche, das Bauen endlich zirkulär, ressourcenschonend und so natur- wie menschenfreundlich zu machen. Aber: Eine grüne Architektur, die nicht grün ist, sondern am Ende nur grün aussieht, ist ein größerer Schaden als eine Architektur, die sich ehrlich macht. Denn sie wirkt sedierend. Das Surrogat von Ökologie macht echte Ökologie am Ende wohltuend überflüssig. Nichts ist fataler als die Vermutung: alles okay – weitermachen. Schon deshalb ist Eckerts Röhre aus Beton, Stahl und Glas eine enorm bereichernde Ausnahme vom saisonalen Grün-Fetisch der gegenwärtigen Architektur. Auch wenn man im winterlichen Februar, der wieder mal viel zu warm ist, das gerade zaghaft sprießende Grün ersehnt wie sonst nur noch das Ende der an Bau-, Energie- und Verkehrswende slapstickhaft scheiternden Ampelkoalition. In den Gefilden der Architektur ist man zuletzt fast ersoffen im plakativ behaupteten Grün einer immer lauter, ja brüllend vernehmbaren Architektursprache, die immer öfter, immer spektakulärer und immer rhetorischer vom realen Bau zur surrealen Botanik wird. Wenn auch nur scheinbar und vordergründig. Als Kulissentrick und als fauler Fassadenzauber. Meistens jedenfalls. Es gibt natürlich Ausnahmen und echte Zukunftstauglichkeit. Nur gibt es viel mehr So-tun-als-ob.
Mehr Immobilien-Poesie als Bau-Botanik
Das Greenwashing am Bau erlebt einen Höhepunkt an Versprechungen – die kaum je eingelöst werden. Was sich seit einiger Zeit etabliert und zu suggestiven Renderings führt, die in Universitäten, Architekturbüros und Bauämtern, in Fachzeitschriften und Büchern herumgereicht werden, ist eine Architektur des gesellschaftlichen Feigenblatts. Oft nichts anderes als Tinnef. Nachhaltigkeit ist erst mal nur ein Wort. Eines, mit dem man auch das, was alles andere als nachhaltig ist, verkaufen kann. Nach der Moderne kommen Postmoderne, Dekonstruktivismus, Dynamismus und jetzt – ein grün delirierender Botanismus, der mit wahrer Baubotanik (ein tatsächlich relevantes Fachgebiet der Zukunft) leider nur sehr wenig, mit Immobilien-Poesie aber leider sehr viel zu tun hat. Es geht um eine Architektur nicht der Veränderung, sondern im Gegenteil der Behauptung. Ein Beispiel dafür ist „The Line“, die eingangs erwähnte Bandstadt am Roten Meer südlich von Tabuk. Es gehört zum Projekt „Saudi Vision 2030“ – und ist ein einziger megalomaner Greenwashing-Superlativ. Erste Architekten wie Norman Foster und Rem Koolhaas sind bereits ausgestiegen aus dem irren Versuch, eine „Null-Kohlendioxid-City“ zu erbauen, indem man zuvor auf dem Grund indigener Stämme (bereits verscheucht) einen 170 Kilometer langen, 200 Meter breiten und 500 Meter hohen, innen begrünten Stahlbetonsarg errichtet. Als Skyvilla-Vision für Superreiche, denen Dubai zu fad geworden ist und die neuen Thrill suchen. Das Projekt ist – anders als die Röhre – keine Technik- und Sozialutopie, sondern eine Immobiliendystopie. Schön grün. Auf allen Renderings wird eine dschungelhafte Oase mitten in der Wüste beschworen, die alles wäre – aber sicher nicht reell grün. „Kopflos & schon fast tödlich dumm“: So beschreibt Eckert in seinem Buch zur Röhre die Unfähigkeit, die Welt wirklich neu zu denken. Weil wir damit beschäftigt sind, die immer gleiche alte Welt grün anzupinseln. Wir brauchen aber keine pseudogrünen Immobilienideen – wir brauchen schlicht mehr echtes Grün in bestehenden Lebensräumen. Undenkbar, natürlich.