Bauwelt
Echte Erfahrungen. Christoph Hesse präsentiert seine „Open Mind Places“ in der Architektur Galerie Berlin
Von Oliver G. Hamm

Review

Besser hätten es der Architekt Christoph Hesse und der Galerist Ulrich Müller nicht planen können. Ausgerechnet in einer Zeit, die durch erneute massive Einschränkungen zur Eindämmung der Corona-Pandemie geprägt wird, die sich allerdings nicht auf den freien Zugang zur Architektur Galerie Berlin auswirken, ist ebendort eine Ausstellung zu sehen, die wie wohl kaum eine andere eine Erfahrung widerspiegelt, die gerade in diesem Jahr wohl jeder von uns gemacht haben wird: Jenseits einer Welt, die durch permanenten Leistungsdruck und eine immerwährende Informationsflut geprägt wird, gibt es ein Bedürfnis nach Kontemplation, nach echten Natur- und Raumerfahrungen und nach realen Begegnungen mit Menschen an nicht-digitalen und nicht-kommerziellen Orten. Dies alles bietet eine Gruppe von neun „Follies“, die Christoph Hesse an seinem Heimatort Referinghausen im Sauerland errichtet hat – und von denen ein „Ableger“, der Ursprung (vier Kuben aus flambiertem Holz), neben Modellen und Fotografien aller neun Open Mind Places, bis 12. Dezember in und vor der Galerie zu sehen ist.

Wie die Ursprung-Kuben, die an die vier ersten Höfe des heute rund 200 Einwohner zählenden Dorfes erinnern, sind alle Follies als einfache Konstruktionen aus lokal verfügbaren Materialien errichtet worden – ehrenamtlich, mithilfe der Familie des Architekten, von Anwohnern und befreundeten Handwerkern. Sie bieten Sesshaften und Wanderern Räume zum Innehalten, aber auch zum Austausch mit anderen und mit der umgebenden Natur- und Kulturlandschaft. Besonderer Beliebtheit erfreuen sich die Himmelstropfen, drei Pavillons aus Baustahlmatten auf einer Hügelkuppe, die zunehmend von Kletterpflanzen überwuchert werden. Nahebei, an der Heidenstraße – einem uralten Handelsweg zwischen Köln und Leipzig – und zugleich am Übergang zwischen Wald und Lichtung, bietet der aus Holz gefertigte Heidentempel Wanderern einen Unterstand. Ein Einschnitt im massiven Dach (das 2019 als Modelltisch einer Ausstellung im Aedes Architekturforum diente) gewährt Ausblicke auf die Baumkronen und den Himmel. Ganz einem archaischen Erlebnis gewidmet ist der Sonnenklang, eine auf die untergehende Sonne ausgerichtete Holzliege mit steilem Stahldach, in dem sich die Umgebungsgeräusche zu einem „Sound of Silence“ verdichten.

Vom beschwerlichen bäuerlichen Leben, aber auch von der Lebensfreude der Vorfahren berichten digitalisierte Überlieferungen, denen man in der begehbaren Skulptur Pflug unmittelbar am Dorfrand lauschen kann. Drei Follies wurden sogar mitten im Ort errichtet, zwei davon in unmittelbarer Nachbarschaft. Das Unterholz auf dem sogenannten Mehrgenerationenplatz besteht aus zwei winkelförmigen, horizontal zweigeteilten Baukörpern: Die Sockel aus Beton mit den Abdrücken alter Fenster, Türen und Erinnerungsstücke der Dorfbewohner bieten Sitzgelegenheiten, die Überbauten aus Holz mit kleinen Aussparungen dienen als Leuchtkörper in den Abendstunden. 20 Meter hangaufwärts sind auf einer Unterkonstruktion aus Beton Eichenschwellen zu einem hohen Raum aufgestapelt: das Oberholz ermöglicht Begegnungen für bis zu sechs Personen, aber auch weite Ausblicke über das Dorf bis auf die Hügelkette im Süden mit der Heidenstraße. Dieser einfache Raum komprimiert den Grundgedanken der Open Mind Places: Er ist ein Angebot, um zu sich oder mit anderen zusammen zu kommen.

Fazit: Unbedingt hingehen! Erst in die Ausstellung und dann bei Gelegenheit auch nach Referinghausen.