Kölner Stadtanzeiger
Simon Ungers feiert die Utopie der nutzungsfernen Entrücktheit
Von Günter Kowa

Review

Simon Ungers und Berlin, das ist eine spannungsreiche Beziehung. Er übt in der Stadt, die wie kaum eine andere die Architektur zelebriert, dabei jedes Experiment auf diesem Gebiet scheut, eine unterschwellige Wirkungsmacht aus. Immerhin war der Architekt und Künstler, der vor zwei Jahren Selbstmord beging, einer der beiden ersten Preisträger beim ersten Wettbewerb für das Holocaust-Mahnmal. Und kurz nach der Jahrtausendwende widmete ihm die Galerie Aedes, damals noch an den Hackeschen Höfen, eine umfassende Ausstellung.

In einem Ambiente, das programmatisch mit „Werkraum“ beschrieben ist, zeigt jetzt die Architektur Galerie Berlin in der hermetisch monumentalen Karl-Marx-Allee vier von Ungers’ utopischen Entwürfen. Und obwohl sie in einem viel größeren Rahmen erst vor einem halben Jahr im Frankfurter Deutschen Architekturmuseum zu sehen waren, drängten sich bei der Eröffnung in kaltem Neonlicht gut 100 in Schwarz gekleidete Architekten in den Raum.

Der Sohn des Kölner Architekten Oswald Matthias Ungers – ein theorieschwerer Geist wie dieser, aber bildender Künstler dazu – war wohl zeit seines jäh beendeten Lebens ein scheu beäugter Einzelgänger seiner Zunft. Die vier auf Sperrholzsockel gestellten Gebilde, eines aus Holz, die übrigen kiloschwer aus seinem bevorzugten Material, dem rostigen Corten-Stahl, offenbaren eine Suche nach dem Absoluten. Radikal hat man Ungers’ Entwürfe genannt. Sie wollen das Zeitlose über die Funktion stellen und hegen kein Interesse am Alltagsgeschäft von Wohnbauten, Krankenhäusern, Bahnhöfen oder Altersheimen.

So sind denn die Modelle, die um die Vorstellung von Universalmuseen kreisen, ebenso sehr Studien für Skulpturen wie für Bauten. Das „Revolutionsmuseum“ verarbeitet da noch erkennbar Zitate früher russischer Avantgardearchitektur, doch in der „Ausstellungshalle“ oder dem Komplex „Art City“ ist das konstruktivistische Prinzip zu abstrakter Utopie geläutert – eine Utopie von frappierend nutzungsferner Entrücktheit umso mehr, wenn Ungers Grundrisse mitliefert, die ätherisch anmuten.

Es zu denken mag berechtigt sein oder nicht, aber der Anspruch des Visionären und des Idealen in diesen Werken, die Suche nach Urprinzipien in der Architektur, vermengt sich mit dem Subtext eines Lebens, das verwoben bleibt in der Sphäre des Vaters. Sie bezeugen aber auch ein Streben nach künstlerischer Unbedingtheit. Das Gebäude, das Ungers bekannt gemacht hat, das „T-House“ in Wilton (New York), ist wie Palladios Villa Rotonda ein Gehäuse reiner Geometrie und hoher Ästhetik. Es ist unveränderlich und abstrakt, sich selbst genügend und dem Alltag nicht zugänglich.