Frankfurter Allgemeine Zeitung
Zukunft, hoch gestapelt. Eine Ausstellung des Architekturbüros MvRdV in Berlin
Von Niklas Maak

Review

Windmühlen, die über endlosen Blumenfeldern auftauchen, Gewächshäuser, hier und da ein Wäldchen, weite Dünen, und das Land dahinter ist feucht und pfannkuchenflach: Das ist so das Klischee, das man mit Holland verbindet – und so gesehen war es eine effektvolle Pointe, dass das Land sich für die Weltausstellung 2000, die vor zwanzig Jahren in Hannover stattfand, von dem damals kaum bekannten Architekturbüro MvRdV (Winy Maas, Jacob van Rijs und Nathalie de Vries) all diese typisch holländischen Landschaften zu einem spektakulären, siebenundvierzig Meter hohen architektonischen Big Mac aufstapeln ließ, der alle anderen Pavillons, auch die von Bergnationen wie der Schweiz, weit überragte.
Ein rauschender Wald hoch über der Stadt, weite Dünen auf dem Dach – 2,8 Millionen Menschen wanderten damals erstaunt durch diese Utopie eines radikal vertikalisierten Hollands. Das achttausend Quadratmeter große Hochhaus, das auf acht Etagen Landschaften stapelte, war aber nicht nur ein Gag: Es nahm eine ganz neue Generation von ökologischeren, räumlich und sozial offeneren Hochhausarchitekturen vorweg. Wenn heute immer mehr Betontürme im zwanzigsten Stock einen kleinen Dschungel haben oder gleich die ganze Fassade mit Grünpflanzen überziehen, dann ist einer der Prototypen dafür der holländische ExpoPavillon, den man sich auch als eine gebaute Lunge für die immer enger und höher bebauten Metropolen Asiens vorstellen könnte, als vertikalen Park für Orte, wo der Baugrund zu teuer für horizontale Erholungsflächen ist. Und wer sagt, dass der öffentliche Raum in der flachen Ebene bleiben muss und entlang der Fahrstühle nur private Wohnungen und Büros liegen können? MvRdVs Architektur ebnete den Weg für neue Formen von Hausgemeinschaften, die sich ihren kleinen Dschungel auf dem Dach teilen. Der Idee der Vertikalisierung des Öffentlichen, dem Stapeln und Raumsparen, das angesichts der ökologischen Zersiedelungsfolgen immer wichtiger wird, dem extrem kompakten Bauen und der freudvollen Hochverdichtung sind die in Rotterdam ansässigen Architekten treu geblieben. Immer wieder haben sie es geschafft, Bautypologien zu entwickeln, wie sie die Welt noch nicht gesehen hatte – zuletzt 2014 mit ihrer „Markthal“ in Rotterdam, die auf den ersten Blick das ist, was der Name verspricht, nämlich eine Markthalle, aber gleichzeitig auch ein Wohnbau mit 230 Apartments. Das Dach dieser vierzig Meter hohen, hundertzwanzig Meter langen Markthalle ist nämlich ein Hochhausriegel, der sich auf spektakuläre Weise rückwärts wie eine halbe Röhre über den Markt krümmt, als wollte er beweisen, dass auch Häuser Yoga machen können (hier bietet das Haus ein ziemlich perfektes Chakrasana dar). Der Markt wird so überwölbt von einem Wohnhaus, man wohnt sozusagen im Dach und in der Wand und schaut hinunter auf die Fisch- und Gemüsestand; selten wurden in der Moderne Markt und Wohnen so dicht zusammengebracht.
Immer wieder haben MvRdV auch in Deutschland Projekte gewonnen. Auf sie konzentriert sich jetzt die MvRdV-Ausstellung in der Berliner Architekturgalerie. Die ist fast so alt wie der holländische Pavillon; vor gut zwanzig Jahren gegründet, ist sie zu einem der interessantesten Orte für den Berliner Architekturdiskurs geworden. Zusehen sind dort Bilder und Modelle etwa von MvRdVs fünfgeschossigem „Werk 12“-Bau in München, der mit diagonalen Außentreppen, 5,5 Meter hohen Decken und einem Pool im vierten Stock so etwas wie ein später kleiner Bruder des Expo-Baus ist. Dazu kommen Pläne für Kasernennachnutzungen, Wohnblocks mit gigantischen Freitreppen und Entwurfszeichnungen für das mit dem Ingenieur Werner Sobek entwickelte Kool-Quartier in Kiel – dort sollen ein wild auskragender, wie geschüttelt aussehender Turm und ein Büro- und Apartmentriegel entstehen, auf dem sich eine lebendige Wohnlandschaft aus Holzhäusern aufstapeln wird.
Es war eine der ersten Eröffnungen nach dem kulturellen Lockdown; vor der Galerie standen die Vernissagegäste dicht gedrängt, man sah sich nach langen Monaten zum ersten Mal wieder; einige trugen orangefarbene Masken, die ihnen die Architekten überreicht hatten, und hielten vorbildlich Abstand, andere krähten zur Begrüßung ein lautes „Küsst du mich vielleicht mal, ich hab kein Corona“ in die Runde und stürzten sich auf die Vorsichtigeren, die erschreckt ihre FFP2-Masken festzurrten. Die Sehnsucht nach Nähe und Verdichtung, die die Stadt schon immer ausgemacht hat und die auch MvRdV architektonisch immer wieder in Szene setzt, ist nach und mit Corona jedenfalls ganz offensichtlich nicht kleiner geworden.

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