Tagesspiegel
Passt in keine Schublade. Das Rotterdamer Büro MVRDV zeigt in der Architektur Galerie Berlin seine experimentierfreudigen Entwürfe für Deutschland.
Von Bernhard Schulz

Review

Jede Ausstellung in der Architektur Galerie Berlin ist eine Inszenierung. Das geht nicht zuletzt deshalb so gut, weil die drei großen Fenster hinaus auf die Ost-Berliner Karl-Marx-Allee im Wortsinne Schau-Fenster sind – Fenster zum Schauen, als ob es ein Bühnenbild wäre.
Jetzt ist das Rotterdamer Büro MVRDV – das Kürzel ist aus den Anfangsbuchstaben der drei Gründernamen gebildet – zu Gast, und da das Büro nun auch eine Dependance in Berlin eröffnen will, ließ Ulrich Müller seine Architekturgalerie als office space gestalten (bis 22. August. Infos unter www. architekturgalerieberlin.de). MVRDV hat orangefarbene Tische und Stühle aus Rotterdam mitgebracht, wo das Büro in einer Werkhalle in Fünfziger-Jahre-Architektur untergebracht ist – und bei inzwischen 240 festen Mitarbeitern aus allen Nähten platzt. Dort gibt es neben einem orangen Raum auch einen grünen, roten und blauen, je nachdem, welche Art von Zusammenkunft oder Besprechung ansteht. Ansonsten ist alles transparent, man überblickt die Halle mit den langen Tischen, an denen am Computer die Entwürfe entstehen, von einer Galerie aus.
Noch ist der Berliner Standort nicht benannt, aber es kommt nur einer der Kreativbezirke infrage. Schließlich bildet MVRDV inmitten der experimentierfreudigen niederländischen Architektenszene nochmals eine kreative Spitze. „We want to revolutionise every aspect of human life“, heißt es auf der Website, und das ist kein bisschen großspurig, denn MVRDV stellt tatsächlich gerne einmal alles auf den Kopf. In Deutschland hat das Büro noch nicht allzu viel gebaut, aber der Erstling war schon eine wahre Revolution des Bauens: der niederländische Pavillon bei der Weltausstellung Hannover im Jahr 2000.
Der stellte auf quadratischem Grundriss eine gestapelte Landschaft da, wo Gemüse in mehreren Etagen wuchs; und nur die Schweine, die dort eigentlich auf einer Etage grunzen sollten, blieben aufgrund hiesiger Bestimmungen zur Tierhaltung untersagt. MVRDV schockierte zudem seine Landsleute mit dem Vorschlag einer „Pig City“ mit 40-stöckigen Schweinefarmen, direkt an der Küste für raschen Export. Dabei wurde der Grundgedanke geflissentlich übersehen: dass nämlich ein dichtbesiedeltes Land wie die Niederlande sich Gedanken machen muss über den horizontalen Landverbrauch und stattdessen in die Höhe gehen sollte. Der Niederlande-Pavillon, einer der wenigen erhaltenen auf dem verlassenen Expo-Gelände, soll nun endlich dauerhaft genutzt werden, umgeben von einer blockartigen Wohnbebauung. Der Umbau ist keine Kleinigkeit. Allein die Fluchttreppen, die außen angebracht werden müssen, verändern das Aussehen stark, ebenso das geplante Restaurant im Dachgeschoss.
In Ulrich Müllers – übrigens 1999 gegründeter – Galerie stellt MVRDV ausschließlich deutsche Projekte vor, also nicht die bekannten Amsterdamer Wohnhäuser mit ihren wie Schubladen herausgezogenen Balkons, oder die Rotterdamer Markthalle in Gestalt eines riesigen, elliptischen Bogens samt Wohnungen in den Längsseiten.
„Wir haben viele Entwürfe gemacht, aber relativ wenig Erfolg gehabt“, meint Firmen-Mitgründer Jacob van Rijs über die Teilnahme an deutschen Wettbewerben, doch ohne Groll, denn das ändert sich gerade: In München ist der Umbau einer ehemaligen Fabrik fertig (samt Schwimmbad im Inneren), in Mannheim ist ein Groß-Wohnungsbau in Arbeit, der wie aus Lego-Teilen zusammengesteckt wirkt, in Hamburg entsteht ein bildstarkes Bürogebäude.
In Berlin hatte MVRDV vor Jahren ein Haus für den Schinkelplatz vorgesehen, dessen Rasterfassade an einer Stelle ausgebeult hervorstehen sollte; das kam bei der Jury wohl nicht gut an. Aber das kann noch werden, wenn MVRDV erst einmal in Berlin Fuß gefasst hat.

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